Die jungen Leute im Riederenholz haben in ihrem Leben schon vieles erlebt. Sie stammen aus sozial schwierigen Verhältnissen und finden im Wohnheim an der Brauerstrasse einen Ort, an dem sie sich in einem stabilen Rahmen und in Ruhe entwickeln können. Im Frühling 1856 wurde das Heim durch die Ingenbohler Schwestern gegründet und bis 1978 geführt. Schon 1929 hatte die Politische Gemeinde St.Gallen das Kinderheim übernommen, in den Fünfzigerjahren durch einen Neubau ergänzt und 2003 renoviert.
Das Zusammenleben im Wohnheim war immer auch ein Spiegel der gesellschaftlichen und pädagogischen Entwicklung. Zu Beginn waren die Schlafsäle für je acht Kinder ausgelegt und die Strenge des Ordenslebens bestimmte den Alltag im Heim. Als in den Siebzigerjahren das Gruppensystem eingeführt wurde, fand auch die Einteilung in kleinere Wohneinheiten statt. Mit der Umnutzung des Einfamilienhauses kann das Heim nun eine weitere Wohnform anbieten: Eine Familie auf Zeit. Fünf Jugendliche, betreut und begleitet von einer erwachsenen Person. Sobald sie volljährig sind, müssen die Jugendlichen das Wohnheim verlassen und auf eigenen Beinen stehen können. Oft führt dieser Schritt vom behüteten «Hotelbetrieb» direkt in die Überforderung. Nachdem das Wohnhaus durch die Heimleitung nicht mehr genutzt wurde und der letzte Mieter ausgezogen war, bot sich die Möglichkeit, den Ernstfall zu trainieren. Stück für Stück wird den Jugendlichen so die Verantwortung für ihr eigenes Leben anvertraut. Der Umbau strebte eine möglichst wohnliche Atmosphäre für ein familiäres Leben an.
Da das Haus bereits früher demselben Zweck diente, waren die Eingriffe sehr klein. Was noch genutzt werden konnte, blieb unangetastet und lediglich die Brandschutzvorschriften und eine Asbestsanierung in den Bädern hatten grössere Arbeiten zur Folge. Zudem wurde ein Zimmer im Sockelgeschoss für den dauernden Aufenthalt der betreuenden Personen eingerichtet. Einige Details zeugen dann doch von den besonderen Bedürfnissen dieser Gemeinschaft. In den Schlafzimmern ist jeweils eine Wand in einer kräftigen Farbe gestrichen. Dies erleichtert den Jugendlichen die Identifikation mit ihrer ganz privaten Umgebung. Gleichzeitig müssen sie aber auch Farbe bekennen, denn diese können sie selbst bestimmen.
Im Aussenraum sind die Veränderungen am sichtbarsten. Ein Nutzgarten hat den maroden Teich ersetzt und bietet nun neben frischem Gemüse gleich auch noch Unterricht in gesunder Ernährung. Und auf der Weide, wo einst ein Pferd seine Runden zog, lassen die Kinder des Wohnheims nun auf dem Sportplatz ihrem Bewegungsdrang freien Lauf. Der Stall wurde zum Geräteraum und der Höchsterwaldbach bildet eine natürliche Grenze zwischen dem Jugendhaus und dem Hauptgebäude. Das Bächlein wurde vor einiger Zeit renaturiert und aus der Versenkung geholt. Diese subtile Trennlinie wird von allen respektiert und führt dazu, dass die Jugendlichen der Wohngruppe einen eigenen Status im Riederenholz geniessen. Und mithin ein Privileg, für das man sich qualifizieren muss. An der Schwelle zu einem eigenständig geführten Leben sicher eine Extraportion Selbstvertrauen, die wirkt.